Kultur- und Reisejournalistin Evelyn Pschak von Rebay präsentiert in ihrem Reiseführer "111 Orte, in den Pyrenäen, die man gesehen haben muss" tolle Ecken zwischen Gipfeln und Küste. In diesem Interview verrät sie uns schon ein paar besondere Highlights vorab.
Was ist Ihr persönlicher Lieblingsort in den französischen Pyrenäen? Haben Sie einen Geheimtipp?
In den französischen Pyrenäen ist es nicht umsonst so herrlich grün, es sind wasserreiche Berge. Auch meine drei Lieblingsorte haben sämtlich mit Wasser zu tun. Zwischen Cucugnan und Duilhac-sous-Peyrepertuse (im Département Aude) in den Wasserbecken der Gorges du Verdouble wild zu schwimmen hat einen Zauber, den man nur schwer beschreiben kann. Unterhalb des Château de Peyrepertuse, der größten Katharerburg auf französischem Boden, wo Raubvögel kreisen und die Sonne auf die sich schwindelerregend zur Burg hinaufwindende Treppe aus dem 13. Jahrhundert knallt, hat sich ein Flüsschen in den kreidezeitlichen Kalkstein gegraben und fließt in klaren Sturzbächen über abgerundete Felsen, formt flache Becken und einen smaragdfarbenen See, durch den silberne Fischchen schießen. Um dort hinzugelangen, darf man auf der Départementale 114 die Abzweigung am Schild „Moulin de Ribaute“ nicht verpassen. Am Besten füllt man zuvor noch seine Wasserflasche an der kühlen Dorfquelle von Duilhac-sous-Peyrepertuse auf, der Fontaine des Amours. Über den moosigen Auffangbecken steht ein Vers von Ronsard: Quiconque en boira qu’amoureux il devienne – wer auch immer davon trinken mag, soll sich verlieben. Ich weiß nicht, ob das funktioniert, denn ich war davor schon längst in meinen Mann verliebt, aber es ist ganz bestimmt das köstlichste Wasser, das ich je getrunken habe.
Das zentralpyrenäische Städtchen Bagnères-de-Bigorre hat nicht nur einen großartigen Samstagsmarkt, sondern auch ein tolles Thermalbad: Aquensis. Hier gibt es Eselsmilch-Sprudelbäder und heißer Pfefferminztee fließt im türkischen Bad aus den Wasserhähnen (wirklich!).
Das unglaublich hübsche Collioure an der Côte Vermeille ist zwar wahrlich kein Geheimtipp mehr, aber diesen Ort liebe ich noch aus Studentenzeiten. Die Familie einer Kommilitonin hatte hier ein Fischerhäuschen. Und wir saßen Abend um Abend an der Promenade, im Blick den charakteristischen Kirchturm, der an drei Seiten vom Mittelmeer umspült wird und damit wohl der einzige Glockenturm ist, um den man herumschwimmen kann. Vor uns kleine Gläser voll Banyuls, dem Süßwein, den hier alle trinken. Matisse hatte einst gesagt, es gebe keinen Himmel, der genauso blau wäre, wie der von Collioure. Als angehende Kunsthistorikerinnen mussten wir das natürlich überprüfen, ganz wissenschaftlich-empirisch. Vielleicht lag es auch ein klein wenig am Banyuls (von dem Kunstgeschichtsstudentinnen erstaunlich viel vertragen!). Aber wir kamen immer wieder zum folgenden Schluss: Matisse hatte recht.

Was sollten Besucher, die zum ersten Mal in den französischen Pyrenäen sind, auf jeden Fall sehen?
Die Sterne! Die Sonne! Die Spitze des Südens! Man kann sich der Milchstraße in den Pyrenäen besonders nahe fühlen, vor allem inmitten des Sternenparks Réserve Internationale de Ciel Etoilé du Pic du Midi. Am Gipfel des Pic du Midi (übersetzt also der „Spitze des Südens“) befindet sich zudem eine Sternwarte. Bereits 1740 errichtete man hier eine Hütte für geodätische Beobachtungen, ab 1870 wurde am seinerzeit höchstgelegenen Observatorium Europas gebaut. Und noch heute ist es ein Ort für Superlative: Seit 1980 steht hier das größte Spiegelteleskop Frankreichs, ein kleineres, 1963 von der NASA finanziert, half bei den Vorbereitungen der Apollo-Mission. Um in die wissenschaftlich genutzten Räume zu dürfen, muss man astronomischer Mitarbeiter sein – oder einer von 27 Übernachtungsgästen (es gilt, früh zu reservieren, die Zimmer sind wirklich schnell ausgebucht). Natürlich kann auch der Tagestourist die spektakuläre Seilbahn vom Skiort La Mongie aus zum Gipfel nehmen, aber eben nur der Hotelgast erhält Zugang zum geschlossenen Trakt der Wissenschaftler und seinen langen, in den Berg gekrösten Verbindungstunneln, die in jede James-Bond-Verfilmung hineinpassen würden. Derzeit misst der Bau über 10.000 Quadratmeter Fläche, verteilt auf sechs Ebenen und verbunden durch ein fünf Kilometer langes Gänge-System. Wer würde auch bei Windgeschwindigkeiten von 288 Stundenkilometern (hier bereits gemessen!) mal eben einen Hof überqueren wollen. Oder bei 30 Grad Minus (brrrr!). Das höchste Planetarium Europas steht auch hier, aber selbst ohne Hilfsmittel ist die Sicht an klaren Tagen überragend: im Süden überblickt man die Pyrenäenkette von Katalonien bis ins Baskenland, im Norden das Vorgebirge des Zentralmassivs, im Westen ragt der Leuchtturm von Biarritz auf. Ein Sechstel der Fläche Frankreichs liegt einem hier zu Füßen.
Ihr regionales Lieblingsrestaurant oder ein Lieblingsgericht?
Das klingt jetzt erst einmal nach einem unerhörten Vorschlag: Da kurvt man durch das südliche Frankreich – und ich schicke Sie in eine Einkaufspassage! Aber die Bar à Fromages von Dominique Bouchait in der Galerie Marchande Leclerc von Estancarbon (Haute-Garonne) ist wirklich incroyable. Der gelernte crémier-fromager hat die Milchproduktfabrik Les Fromagers du Mont Royal aufgebaut. Er kennt die umliegenden Pyrenäentäler und -höhen wie seine Westentasche und holt dort von kleinen Höfen die Milch für seine Käsekreationen, etwa den Napoléon, einen zehn Monate gereiften Käse aus pasteurisierter Schafsmilch, den Bouchait inzwischen bis Australien und Japan exportiert. Er wurde 2011 zum Meilleur Ouvrier de France gekürt und hat auch für Angela Merkel bereits Käseplatten angerichtet. Dass ein wahrer maître sich aber nicht nur um die affinage, die Käsereifung, kümmert, sondern auch in der weiteren Zubereitung exzelliert, zeigt er im Restaurant hinter den Käseauslagen, in dem sein fromage zu frischen Gerichten verarbeitet wird: Zu Soufflé vom Neufchâtel etwa oder einem Omelette mit Steinpilzen und Comté. Am meisten lohnt sich der Besuch um Weihnachten herum, wenn Bouchait 500 verschiedene Käsesorten in seinen Glasvitrinen präsentiert, aber auch sonst sind es um die 250, da hat man schon zu tun, bis man die alle durch hat.
Mein zweiter Restauranttipp befindet sich im Béarn: Die rosenumrankte Auberge de la Fontaine in Laàs (Pyrénées-Atlantiques) mit den blauen Fensterläden und den Terrassentischen unter roter Markise ist ein Dorfgasthof wie er im Buche steht. Früher war es die Schule dieses kleinen Dorfs mit 135 Einwohnern (die mittags alle vorbeizuschauen scheinen!), heute bestellt man hier Garbure, den typischen Eintopf des Südwestens, mit Kartoffeln und überhaupt allem, was der Garten hergibt. Der Wirt Jean-Luc fügt gerne für den besonderen Geschmack noch einen Knochen vom Bayonne-Schinken hinzu. Sein Großvater kam als junger Mann von einer Weltreise aber mit einem ganz anderen Rezept zurück, das heute ebenfalls als Spezialität des Hauses gilt: die Omelette Norvégienne. Den Nachtisch aus geschlagenem Eischnee schiebt man acht Minuten in den Ofen, darin befindet sich eine Kugel Vanilleeis, durch das Eiweiß vor der Hitze geschützt. Vor dem Servieren kippt Jean-Luc noch einen kräftigen Schuss Grand Marnier darüber. Zum Mittagstisch trifft man hier auch Jacques Pédéhontàa. Der umtriebige Franzose ist seit weit über 30 Jahren Bürgermeister von Laàs. Wer sich als Tourist zu erkennen gibt, wird von ihm höchstpersönlich auf ein weiteres Highlight des Dorfs hingewiesen: An der Auberge vorbei zieht sich der Laàs Vegas Boulevard. Den Stern von Brigitte Bardot findet man sogar direkt am Gasthof. Oh là là!
Und als dritte Adresse würde ich den Nordstrand von Torreilles (Pyrénées-Orientales) nennen: Hier sitzt es sich ganz formidabel unter dem Reetdach der Strandhütte La Casa Pardal bei gegrillten Sardinen oder schwarzem Reis mit Oktopus. Das Reetdach bietet Schatten und gekühlter Rosé spült das Salz des letzten Tauchgangs im Mittelmeer wieder von den Lippen. Die Casa Pardal ist mehr als ein Place to be. Sie ist eine Plage to be! La Plage, klar, das bedeutet Strand auf Französisch. Aber eine noch wichtigere Vokabel ist hier „Paillotte“ – die Strandbar. Das „paille“ steht für das Stroh, das die ephemere Architektur einer solchen Strandhütte ausmacht. Und wer aus dem Meer auf La Casa Pardal schaut, erblickt weit dahinter den Canigou, heiliger Berg der Katalanen.
Ein Ort bei schlechtem Wetter?
Da bleibt ja als Tipp eigentlich nur ein Regenschirmgeschäft: In der schönen Stadt Pau (Nouvelle-Aquitaine) wird nämlich im kleinen Laden Au Parapluie des Pyrénées der Schirm der Schäfer verkauft – und seit über 120 Jahren auch hergestellt. Der heutige Besitzer Christophe Pando behauptet sogar, in Pau müsse man vor allem zwei Orte besuchen: das Schloss, in dem Heinrich IV. geboren wurde - und seinen Werkstattladen. Da mag er übertreiben, aber gemütlich ist es bei ihm, zwischen all dem bunten Regenschirmtuch. Die Nähmaschine seines Vaters Hervé rattert, das Radio läuft und immer wieder kommen Kunden vorbei, die einen Regenschirm reparieren lassen wollen oder einfach nur ein Schwätzchen halten. Traditionell ist das Rattangerüst des Schäferschirms in dunklem Blau bespannt und riesig: der Durchmesser beträgt 1,35 Meter. Besonders ist auch der Griff: Der runde, hölzerne Handschmeichler, im Französischen pommeau genannt, erlaubt es, die ihn umgreifende Hand bei rauen Außentemperaturen in der Westentasche zu lassen, um nicht nur die Finger zu wärmen, sondern auch das Gewicht des Schirms abzustützen. Das Utensil ist aber nicht nur praktisch, sondern auch en vogue. Kernkundschaft mögen noch immer die Schäfer sein, aber auch Fußballlegende Zinédine Zidane hat einen und Modezar Karl Lagerfeld soll gleich mehrere besessen haben.
So viele Stunden, wie man bräuchte, um die Holzschnitzereien des Chorgestühls der Kathedrale von Saint-Betrand-de-Comminges (Haute-Garonne) zu studieren, kann es gar nicht regnen. Und wenn dann auch noch die Cheforganistin Élisabeth Amalric ein Konzert gibt oder auch nur ein wenig vor sich hin übt, an ihren 2993 Orgelpfeifen, dann will man hier gar nicht mehr raus, da kann die Sonne schon längst wieder scheinen. Sehr lange war die Orgel dieser Pilgerkirche am Jakobsweg ihrer Funktion beraubt, da die meisten Pfeifen während der Französischen Revolution eingeschmolzen und zu Munition gegossen wurden. Erst in den 1970er Jahren, als man in dem entzückenden Ort ein Orgelmusik-Festival etablieren wollte, wurden die benötigten Gelder aufgetrieben, um das Schmuckstück wieder zum Klingen zu bringen. Inzwischen finden seit über 40 Jahren in den Festivalmonaten August und September rund 20 barocke oder zeitgenössische Konzerte statt. Dann zieht auch Amalric buchstäblich alle Register (40 an der Zahl) und lässt die einzige Orgel der Welt, die übereck gebaut wurde, mal zart und engelsgleich wie eine Flöte frohlocken, mal trötig-nasal wie eine Sackpfeife.
Wem es bei Regen schlichterdings auch selbst nach Nässe ist, dem sei der Indoor-Jacuzzi im Ciéléo empfohlen, im höchsten Thermalort der Pyrenäen: Barèges (Hautes-Pyrénées). Hier sitzt man nass und warm mit Blick auf die Gipfel Pic de l’Ardiden (2988 Meter) und Pic de Chanchou (2565 Meter). Ja, dieses Thermalbad konnte wohl nur Ciéléo heißen – ciel bedeutet schließlich Himmel im Französischen. Dem ist man hier auch ziemlich nah: Auf 1250 Metern liegt das Dörfchen, das nicht nur Thermalort ist, sondern auch zweitältester Skiort Frankreichs und, mit La Mongie verknüpft, zum größten Skigebiet der französischen Pyrenäen gehört, dem Grand Tourmalet. Diesen Jacuzzi verlässt man allerhöchstens für eine frische Schicht Barégine. Dieses entzündungshemmende, wundheilende Protein, ist eine weitere Besonderheit von Barèges, dessen Namen es in sich trägt. Es wird im Bauch der Thermalanlage von Mikroorganismen produziert und, einige Herstellungsschritte später, als Creme einmassiert. Merke: Ein Schwefelbakterium aus dem Keller kann Himmlisches leisten. Im Ciéléo allemal.


Von France.fr
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