Motorradtour in den Seealpen

Einmal zur Côte d'Azur und zurück! Ein Reisebericht von Stephan Fennel bei Alpentourer.

Von Kräuterschnaps und Kaffee

Endlich liegt die Schweiz hinter und der Lac d‘Annecy vor uns. Wir können das malerische Gewässer nur wenige Kilometer südlich von Genf allerdings nur erahnen. Spät ist es geworden, die Anreise zog sich lange hin. Also erst mal ab ins Hotel, ausschlafen…

Der Oktober hat seinen Zenith bereits überschritten und dennoch wollen wir uns noch schnell eine Tour bis an die Côte d‘Azur und wieder zurück gönnen. Kann unser Vorhaben überhaupt noch gelingen? Das war die bange Frage angesichts dunkler Wolken und regennasser Straßen zum Tourstart. Es sollte den ganzen ersten Tag nicht besser werden. Zweifel keimen bereits auf – am Termin und der Durchführbarkeit eines Saisonfinales, als wir einen ersten wärmenden Kaffee auf dem Col du Granier oberhalb von Chambery zu uns nehmen, während draußen die Welt unterzugehen droht.

Doch wer lamentiert, hat schon verloren. Also weiter. Hilft ja eh nichts, wir haben schließlich einen Plan. So kämpfen wir uns tapfer durch ansonsten wunderschöne Landschaften in das Massif de la Chartreuse, das seinen Namen vom hier ansässigen Stammkloster der Karthäuser hat. Die waren und sind zudem bekannt für ihren schon fast medizinisch wirkenden Kräuterschnaps. Und so decken wir uns im Klosterladen schnell mit einer noch nicht rezeptpflichtigen Dosis ein.

Kleiner, feiner Pfad

Es folgt mal wieder einer dieser kleinen, feinen Pfade. Er soll uns um Grenoble herum nach Vizille und auf die Route Napoleon bringen. Zugegeben, an Tagen wie diesen ist mir meine Fährtensucherei manchmal selbst nicht geheuer. Aber alles geht gut, auf ausgebauter Strecke nähern wir uns Gap. Und kaum sind die Motorräder in der Hotel-Tiefgarage verschwunden, laben wir uns als vorbeugende Maßnahme bereits am Chartreuse…

Der Morgen hält endlich bereit, was wir uns erhofft hatten: Sonne satt. In schnellen Schwüngen ist schon bald Barcelonnette erreicht, diese kleine Perle am Fuß einiger der schönsten französischen Pässe. Einen Café au lait später sitzen wir schon wieder auf und treiben die beiden Reihen-Vierer mit ersten Juchzern unterm Helm den Col de la Cayolle hinauf. Auf der Passhöhe ist es heute sogar wärmer als in den Tälern!

Dieser Abschnitt ist Teil der Route des Grandes Alpes, der einzige, den wir uns für diese späte Herbsttour vorgenommen haben. In Guillaumes verlassen wir die französische Prachtstrecke wieder und lassen uns von dem satten Rot der Felsen in der Daluis-Schlucht beeindrucken. Bei Castellane hat uns dann die Route Napoleon wieder und bringt uns direkt in die weltbekannte Parfümstadt Grasse.

Natürlich geht das nicht ohne einen Aufenthalt bei wenigstens einer der ansässigen Parfümerien. Unsere Wahl fällt auf Fragonard, gleich neben dem noch jungen Museum zu diesem wohlriechenden Thema gelegen. Doch ein Abstecher in die Geschichte fällt dem Kaufrausch der Sozias zum Opfer. Wie schade…

Die lebhafte Metropole der Côte d‘Azur

Wir quartieren uns für ein paar Tage in Saint-Raphaël am Rande des Esterel-Gebirges ein. Von hier aus wollen wir die Tagesetappen erkunden, die wir mit den Teilnehmern des Saisonfinales unternehmen möchten. Dabei wird uns allerdings schnell klar, dass ein anderer Standort ungleich besser geeignet ist: Nizza. Und das hat nichts damit zu tun, dass wir hier unser Stammlokal in Sachen frische Austern heimisch wissen. Das Café de Turin ist einer von tausend guten Gründen, die lebhafte Metropole der Côte d‘Azur zur Basis zu machen.

Der legendäre Col du Turini ist nur einer davon. Obwohl nur 1 611 Meter hoch, ist die Strecke ein Muss für jeden Südfrankreich-Besucher auf zwei Rädern. Das Kurvengeschlängel, einst spektakulärer Höhepunkt einer jeden Rallye Monte Carlo, hat es wirklich in sich. Doch auch die zahlreichen kleineren und weitgehend unbekannten Pässe der Umgebung wissen zu überzeugen.

Das Wetter hat auch gehalten, die ganze Zeit. Morgens kann es in den Bergen zwar frisch sein, aber die Sonne entschädigt schnell dafür. Drei Etappen stehen uns für die Rückfahrt noch bevor, jede für sich einzigartig.

Der Abschied vom mediterranen Flair ist schnell vergessen angesichts der feinen Strecken durch einsame Mittelgebirgslandschaften. Unser Ziel ist die Verdon-Schlucht. Auf dem Weg durchqueren wir militärisches Sperrgebiet und müssen feststellen, dass die Tankstellenversorgung so ziemlich das Einzige ist, was uns wirklich Kopfzerbrechen bereiten wird. Während unsere Sozias fantastische Ausblicke in Europas „Grand Canyon“ genießen, ist uns Fahrern recht mulmig ums Herz. Mit etwas mehr als einem Restliter im Tank erlöst uns eine sündhaft teure Elan-Zapfe in Moustiers Sainte-Marie von den Qualen.

Das hat gezehrt, und so kommt uns der Aufenthalt an diesem malerischen Flecken gerade recht, um einen Platz fürs Mittagessen zu suchen. Gestärkt und entspannt machen wir uns bald wieder auf den Weg, der uns bis zum Nachmittag kurvenreich nach Digne-les-Bains führt.

Unser Nachtziel ist aber Tallard, ein europäisches Zentrum des stillen Flugsports. Was hier am erneut sonnigen nächsten Morgen über unseren Köpfen schon los ist, macht es uns schwer, uns loszueisen. Doch es warten noch so viele Schmankerl auf uns. Einer davon ist der Col de la Croix de la Haute Beaume, der uns zudem punktgenau an die überaus spaßige Westrampe des Col de Cabre bringt. Kurven über Kurven, bis irgendwann das Städtchen Die erreicht ist.

Das Zentrum der Drôme provençale ist für seinen süßlichen Schaumwein, den Clairette de Die, bekannt. Kein Wunder, angesicht von fast 300 Sonnentagen im Jahr. Für uns steht etwas noch Beschwingenderes auf dem Programm: die traumhaften Straßen oberhalb und in den Canyons des Vercors. Diese fantastische Landschaft hat es mir schon immer angetan. Und es ist jedes Mal wieder ein Genuss, hier durchzufahren.

Prächtige Herbstfärbung

Davon zehre ich noch am Abend in Grenoble, der letzten Station vor unserer Rückkehr an den Ausgangspunkt der Tour. Zu all den eh vorhandenen Eindrücken gesellen sich jetzt im Herbst zusätzlich die prächtigen Farben.

Die begleiten uns auch am letzten Tag, ob hinauf nach Alpe d‘Huez, wo der Asphalt bis heute von so manchen Dramen einer Tour de France zu berichten weiß. Oder auch auf den Pässen Col du Glandon sowie Col de la Madelaine, die wir auf dem Weg nach Albertville noch bezwingen. Zum Abschluss aber geben wir uns noch eine Runde um den Lac d‘Annecy, hinauf zum Col de la Forclaz, und beobachten, wie die Sonne fast kitschig-schön hinter den Bergen verschwindet.

Am Sonntagmorgen stürzen wir uns noch ins Markttreiben von Annecy. Wurst, Käse, Schinken und allerlei wandern ins Gepäck. Für die französischen Momente am heimischen Tisch.

Seealpen